Utopia

Mitten im Markgrafenland erhebt sich ein architektonisches Wunder, das die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verschwimmen lässt.
Dieses utopische Gebäude, mit seiner glänzenden Fassade und den futuristischen Formen, zieht die Blicke auf sich und weckt Erinnerungen an den dystopischen Klassiker Soylent Green.
Die Kontraste könnten nicht grösser sein. Hier, die strahlende Ästhetik des Bauwerks – dort, im utopischen Jenseits die düstere Vision einer überbevölkerten, ressourcenarmen Welt.
Die Frage bleibt – ist die weisse Fassade nur künstliche Illusion?

Das Ich ist eine Andere

Da sagte ich zu ihr: «…O ja die Welt ist da für Liebe, für Jungfer, und bangen Galan…». Ich wusste nicht, sie wuchs in einem patriarchalisch puritanischen Hause auf.
Sie meinte, diese Geste fällt mir nicht schwer.
Erst viel später entblättere ich – die Zeilen mit dem bangen Galan sind der Lyrikerin Emily Dickinson zugeschrieben. Emily stammte aus einem streng calvinistischen Heim.

Das Grauen

Er überlebt den Flugzeugabsturz über der Krim. Kriegstraumatisiert. Tataren retten ihn, bedecken seinen Körper mit Fett und wickeln ihn in grauen Filz. Diese Legende lebt er zeitlebens – die Geschichte zeigt mythische Symbolik. Die Materialien deuten die Fabel von Tod und Wiedergeburt. Ein Nomadenvolk erweckt ihn zum Leben – erlöst ihn von seiner Kriegsschuld.
Josef Beuys (1921-1986) Soldat, Bildhauer, Performancekünstler ist einer der einflussreichsten Protagonisten der Kunst des 20. Jahrhunderts.
An der Documenta 1982 schmilzt er öffentlich das alte Replikat der goldenen Krone von Zar Ivan des Schrecklichen zum goldenen Friedens-Hasen um – das Lebenssymbol Joseph Beuys‘. Sein Credo ‚Die Ursache liegt in der Zukunft‘ bekommt erschreckende Aktualität. Das Undenkbare ist passiert. Das Grauen hat uns eingeholt. Der Machtwahn ist grenzenlos.
Die Kleider aus dichtem Filz werden Vertriebene wärmen.
Das Morgen bestimmt unser Leben mehr als die Vergangenheit.

Der Zahnwurm

Sie klagt im schneebedeckten Atlasgebirge auf der Fahrt nach Essaouira über heftige Zahnschmerzen. Tränen. Der im dunklen Kaftan gekleidete Marabout kann nicht helfen und murmelt unverständlich vom Zahnwurm. Sein stark lückenhaftes Gebiss lässt nicht grosse Zahn-Heilkunde vermuten.
Monate später. Der versierte Parodontologe in der Spezialklinik in Langenthal meint: „…es ist fünf vor zwölf.“
Das berühmt-berüchtigte Paar – das Implantat mit chronischer Entzündung ist nun weg.
Auf der Fahrt nach Hause sehe ich in ihrem Blick grosses Glück. Die verschneiten Alpen blenden im Sonnenlicht.
Ich denke an den Marabout im Atlasgebirge. Ich schwör’s, ich habe kurz den Zahnwurm gesehen.

Pilany

Wie eine Choreographie, geführt von leiser Melodie. Ein offenes, weiteres Photo-Projekt. Unverfälscht, direkt, ehrlich – Raum und Momente finden. Eine Reise in eine andere Welt.
Ich bin zu früh am Set auf dem Reitergut im Markgrafenland. Es riecht nach Pferdehaar und frisch gewachstem Lederstiefel – Stallgeruch. Die Schabracke, Sattellage und Pauschen sitzen. Bereit zur Auszeit, die Freiheit zu leben.
Die vornehme Schimmel-Dame Pilany scheint kurz irritiert – das erste Klickgeräusch der leisen Leica nur. Danielas warme, flüsternde Stimme und ihre sanfte Handbewegung wirken hypnotisch. Die mentale Verbindung spielt in Slow EMotion nun. Photo-Model und Pferd sind in Harmonie. Respekt – Vertrauen und Verstehen; eine wunderbare Freundschaft.
Ich erkenne – das Pferd ist eine stille Insel, heilend weit weg vom hektischen Festland Stadt. Welch ein Luxus, diese Freiheit einzufangen. Zeitlos.

Jenseits

Sie schreibt: „Schickst du mir ein Bild, das dich derzeit am meisten berührt von deinen Bildern, bitte? Geht das?“ Der Reisende, unterwegs vom Medizinmann, fühlt seine Kamera in der Schultertasche. Sein mediales Auge, das die Erinnerung nicht vergisst.
Ein Bild, das mich berührt? Du siehst es jeden Tag – aus den Ländern der vermeintlichen Freiheiten – die Porträts von den traurigen Clowns. Viele der Zuschauer im irdischen Zirkuszelt applaudieren, die lustigen Clowns hinter ihnen hofieren. Nur die Nummerngirls zeigen wie die Zeit verstreicht – Menschen werden geboren. Menschen sterben. „Zeitenwende“, gefolgt von unverhohlenem Hohn?
Die traurigen Clowns, sie glauben die Wahrheit zu predigen, verlassen irgendwann ungläubig das Zirkuszelt.
Aus der Ferne zur Grenze im jenseitigen Land – befreiendes Kinderlachen einer anderen Welt – sie ist auch die des Reisenden.
Mein Bild schenke ich dir.

Augenblicke

Durch das Lächeln der Liebenswürdigkeit blitzt die Kälte für einen Augenblick wie ein Reflex. Erste Porträts seit Monaten.
Es gibt einen Augenblick, wenn alles Alte neu entsteht – die Wärme sichtbar bleibt und im Nirgendwo überlebt. Alles, was ich festhalte, scheint sich aufzulösen.
Vielleicht ist’s der Luxus der Synästhesie. Diese Spielart der Evolution, die dem Bewusstsein ein Verknüpfen der Sinne erlaubt. Das Einschalten des Empfindens generiert mehr Information – das Verbinden der Sicht: Der Geruch des kalten Blicks – der Duft des liebevollen warmen Herzens. Die Magie des Bildes.
Ich denke an Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Die verschmelzenden Themenkreise Wirklichkeit, Identität, das Leben in der grossen Stadt. Malte, der genaue Beobachter. Die fingierte Figur. Malte, im Reifeprozess in der Metropole.
Ich lerne immer noch zu sehen. Die Sinneswahrnehmung ist zentrales Motiv der Aufzeichnung. Die Kamera hat einmal versagt, im Café Corbaci. Wien. Freezing – bei einem gestohlenen Porträt. Das Reset brachte sie zur Vernunft. Die Liebe bleibt.
Nun neue Augenblicke down town, sie dauern oft ewig. Ich wende mich ab, sehe wieder hin, aber da sind sie nicht mehr.

Salander

Die Charakterfigur und Heldin Lisbeth Salander, in Stieg Larsons weltbekannter Trilogie Millennium, verleiht der skandinavischen Skandal-Story Gänsehaut.
Es geht um Familiendramen, Korruption, Prostitution, Rufmord, Spionage, grosse Verschwörung. Und immer wieder um Gewalt gegen Frauen. Dabei wird nichts geschönt.
In der Millenium-Trilogie Verblendung, Verdammnis, Vergebung spielt Noomi Rapace die Protagonistin Salander. Die zierliche, unberechenbare, hochintelligente junge Frau steht unter zweifelhafter Vormundschaft. Sie ist fabelhafte Hackerin und besitzt ein photografisches Gedächtnis – trägt Tattoos und Piercings, schminkt sich schwarz, kleidet sich auffällig. Ein Freak.
Viele Geheimnisse umgeben sie, ihre Andersartigkeit wirkt faszinierend. Salander kämpft – wie so viele Menschen – um Gerechtigkeit.
Das Photo-Projekt, inspiriert von Lisbeth Salander, ist für Räume einer Jugend-Anwaltskanzlei bestimmt.
Metapher der Auftragsarbeit: „Die Falschheiten, Demütigungen und Verletzungen, die im menschlichen Angstraum eine tiefschwarze Tonalität auferlegen, sollen bildlicher Ästhetik begegnen“.
Ist das Böse wohl nur ein Webfehler der menschlichen Struktur?

A. J. Quinnell

Der Weg zu seinem Haus auf der Anhöhe von Kerċem ist nur mit Guide zu finden. A. J. Quinnell, der Thriller-Autor, lebt zurückgezogen; fern der Jetset-Welt. Für seine Arbeit sucht der Erfolgs-Autor in der faszinierend kargen Landschaft auf Gozo die Ruhe, das Alleinsein. Sein altes Anwesen ist aus massivem Stein gebaut. Eine Schutzhülle, ein Kokon zur Mystery-Welt?
A. J. Quinnell – ein Pseudonym. Die Bücher des Autors erreichen Millionenauflagen und sind in die wichtigsten Sprachen der Welt übersetzt. Die Romane – packend, raffiniert erzählt. Die Recherchen, undercover, ausnahmslos punktgenau. Miterlebt, den Geruch der Angst. Kriege, Geheimdienste, Killer-Kommandos. Quinnell kennt das Blut des verwundeten Soldaten, den Schock, seine Liebste zu verlieren. Am weissfahlen, kalten Körper zu trauern. Schmerzen, Wut, endlose Zeiten. Dann das Vergeben, Hoffen. Die Neugeburt. Wenn er schreibt, spricht seine Seele. Nacht ist der Tag.
Anfang der 90er, in Mgarr, Gleneagles Bar – ein erstes Treffen mit Quinnell. Viele Gespräche über sein Leben, die Kunst des Schreibens – Diskurse, Buchkritiken bei Wein und lukullisch-gozitanischer Küche binden eine lange Freundschaft. Ein doppelseitiges Porträt in einem Schweizer Print-Magazin amüsiert den sonst so Medienscheunen.
2004 wird einer seiner Bestseller, der Roman „Man on fire“ (dt. Der Söldner/Mann unter Feuer) mit Denzel Washington, Mickey Rourke und Christopher Walken verfilmt. Spannend. Nichts für schwache Nerven.
Die bezaubernde Insel Gozo wird letzte Heimat des in Nuneaton (GB) geborenen Bestseller-Autors. Philip Nicholson – so sein bürgerlicher Name – verstirbt dort 2005 erst 65-jährig. Nicht nur die Landschaft bleibt.

Shooting Atmosphere

Du kennst das. Du denkst, da wird nie was draus. Wie soll ich die Schönheit denn ins Tageslicht ziehen? Sie ist so bescheiden, bewundernswert blass. So ruhig. Zu sehr. Da wird nichts draus. Hinsetzen. Auf Inspiration hoffen.
Palaver über den Alltag. Mode, Marketing, Design. Smalltalk, über Männer mit klarblauen Augen und pechschwarzem Haupthaar. Die Handtaschen-Sucht, für Weiber so typisch, die Zara-Modelabel, klar für Studies. Die Sehnsucht nach Chillen am Fluss. Im Hintergrund Deep House Music, Feeling Happy – Best Of Vocal.
Neu starten. Über Sensibilität, die vielen Gesichter der Verletzlichkeit reden.
Auch über das Sich-Hinsetzen, im Reinen sein – das blütenweisse Papier und den Kohlestift vor sich, fürs Schaffen ausdruckstarker Porträts. Schwarz-Weiss.
Die Atmosphäre fürs Shooting ist perfekt. Wie von Zauberhand.
Erst unterschätzte Gesichter, dann Erkennen für einen ganzen Tag. Verwandlungskunst in Wirklichkeit.
Jeder kann die Bilder mit Dingen füllen, die er sehen aber nicht berühren kann. Leandra, in faszinierenden Anblicken. Erst scheue Eva, dann stolzes Model. Oder dann mit Amy Winehouse-Blick – in „we only said goodby by words.“ Alles vergeht. So auch die Stunden des Naheseins.
Das Heute ist schon Erinnerung.